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Gedanken der Schülerinnen und Schüler des Salvatorkollegs zum Volkstrauertag am 17.11.2024

 

In diesem Jahr begleiteten zwei Schülerinnen des Salvatorkollegs die offizielle Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag auf dem Bad Wurzacher Friedhof. Magdalena Demmel (KS2) und Kerstin Eble (10c) verlasen dabei den folgenden Text, der in Zusammenarbeit mit ihrem Geschichtslehrer Christoph Sigg entstanden war:

 

Fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs herrscht in Europa wieder ein großer Krieg. Über eine Million Soldaten wurden seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine getötet oder auf eine Weise verletzt, dass sie vermutlich für den Rest ihres Lebens gezeichnet sein werden. Und ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht.

Viele, die den Ukrainekrieg verfolgen, fühlen sich an den Ersten Weltkrieg erinnert: Es herrscht ein Stellungskrieg, die verfeindeten Armeen liegen sich in Gräben oder befestigten Stellungen gegenüber und keine Partei schafft es, die andere zu besiegen. Wenn eine Seite Gelände gut macht, dann nur unter hohen Verlusten an Menschenleben. Schaut man sich die enorm hohen Verluste an, dann stellt man fest: In einem derartigen Krieg zählt das Leben eines einfachen Soldaten wenig.

Im vergangenen Sommer zeigte die Geschichtefachschaft am Salvatorkolleg den Film „Im Westen nichts Neues“, die Verfilmung des großen Antikriegsromans von Erich Maria Remarque, in dem dieser seine Fronterlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg zu Papier brachte. Roman und Film verarbeiten Ereignisse, die über hundert Jahre zurückliegen und damit einer längst vergangenen Zeit angehören. Doch die Aussagen des Werkes wirken bis heute nach und drängen sich uns vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges auf. Im Folgenden werden wir drei Zitate aus „Im Westen nichts Neues“ vorlesen und unsere Gedanken dazu äußern:

 

Zitat aus Im Westen nichts Neues: »Für niemand ist die Erde so viel wie für den Soldaten. Wenn er sich an sie presst, lange, heftig, wenn er sich tief mit dem Gesicht und den Gliedern in sie hineinwühlt in der Todesangst des Feuers, dann ist sie sein einziger Freund, sein Bruder, seine Mutter, er stöhnt seine Furcht und seine Schreie in ihr Schweigen und ihre Geborgenheit, sie nimmt sie auf und entlässt ihn wieder zu neuen zehn Sekunden Lauf und Leben, fasst ihn wieder, und manchmal für immer.«

In diesem Zitat wird die Erde personifiziert. Sie steht also symbolisch für die Freunde und die Familie des Soldaten, welche er hinter sich lassen musste. Als Gruppe von Soldaten kämpfen diese Soldaten im Krieg für das gleiche Ziel. Doch jeder einzelne Soldat, kämpft auch um sein eigenes Leben. Es ist ein Kampf, der innerhalb von wenigen Sekunden vorbei sein kann. Keiner weiß, wie lange der Kampf andauert und ob er ihn überleben wird.

Wie konnte es so weit kommen, dass mehr als 9 Millionen Soldaten im 1. Weltkrieg gefallen sind? So viele Familien wurden auseinandergerissen. Frauen und Kinder stellten sich jeden Tag die Frage: Wann kommt mein Mann, wann kommt mein Papa wieder nach Hause? Sie lebten jahrelang in Ungewissheit, ob sie ihn überhaupt wieder sehen werden. Ihnen blieb nichts anderes übrig als zu warten und zu hoffen, dass er wieder kommt. Und in vielen Fällen blieb es bei der Hoffnung, einer Hoffnung, die nicht in Erfüllung ging. Und die Soldaten, die tatsächlich nachhause zurückkehrten, waren für ihr restliches Leben gezeichnet von dem Elend und dem Schrecken, die sie miterleben mussten. Auch wenn sie die Schützengräben hinter sich gelassen hatten, war dann ihr Kampf noch nicht vorbei: Sowohl mit psychischen als auch mit körperlichen Schäden mussten die meisten Kriegsheimkehrer kämpfen. Ihr restliches Leben war gezeichnet von den im Krieg erlittenen Verstümmelungen und den Erinnerungen an ihre Kammeraden, die sie hatten sterben sehen, den Erinnerungen an so viele junge Männer, die in der schlammigen Erde des Schützengrabens den Tod fanden. Viele von ihnen hatten nie die Möglichkeit, eine eigene Familie zu gründen oder eine berufliche Karriere zu beginnen. Sie fanden ihr frühes Ende fern der Heimat in der kalten Erde.

Auch heute noch und ganz besonders am Volkstrauertag mahnt uns das Schicksal dieser Männer und ihrer Familien, was Krieg bedeutet. Was für uns heute ein kurzer Artikel in der Zeitung oder eine Meldung in den Nachrichten ist, bedeutet für die Betroffenen in der Ukraine und anderswo Tod und Trauer. Es bedeutet, dass ihr Leben, wie sie es kannten, vorbei ist.

 

Zitat aus Im Westen nichts Neues: »Die Front ist ein Käfig, in dem man nervös warten muss auf das, was geschehen wird. Wir liegen unter dem Gitter der Granatenbogen und leben in der Spannung des Ungewissen. Über uns schwebt der Zufall.«

Wie in vielen Kriegen sind auch im 1. Weltkrieg die Soldaten selbstsicher, manche euphorisch und mit dem Versprechen, dass sie schnell und gesund zurückkommen, an die Front gezogen. Als der Moment kam, in dem ihnen bewusst wurde, was Krieg eigentlich bedeutet, wurde die Front für sie zu einem Käfig, aus dem sie nicht entkommen konnten. Und sie erfuhren, was es bedeutet mit der Möglichkeit zu leben, dass jeder Moment ihr letzter sein konnte. Über ihnen schwebte der Zufall: Wo die nächste Granate einschlagen, wo der nächste Angriff des Feindes stattfinden würde, konnten sie nicht wissen. Ob man selbst und die Kameraden, die einem Halt gaben, überleben würden, war völlig ungewiss. Diese Unberechenbarkeit macht den einzelnen Soldaten im Krieg machtlos und verletzlich. Aus dem Käfig, den der Krieg um ihn errichtet hat, kann er aus eigener Kraft nicht entkommen.

Auch in heutigen Kriegen sehen wir diese Machtlosigkeit der Betroffenen. Allein in der Ukraine starben bisher mehr als 10.000 Zivilisten durch Raketen, die Wohnhäuser trafen, oder einfach weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Ihr Schicksal zeigt uns, dass es keine „sauberen Kriege“ gibt. Dort wo Krieg ist, sterben Unschuldige: Soldaten, die gezwungen werden, für ihr Land zu kämpfen, Frauen, Kinder und alte Menschen.

 

Zitat aus Im Westen nichts Neues: »Käme dein Vater mit denen drüben, du würdest nicht zaudern, ihm die Granate gegen die Brust zu werfen!«

Dieses Zitat verdeutlicht noch einmal eindrucksvoll, was der Krieg aus den Soldaten macht: Der Krieg verroht, er bricht jedes Tabu. Er bringt die Soldaten dazu, im Gegenüber nicht mehr einen Menschen zu sehen, sondern einen Feind, den man töten muss, bevor er einen selbst tötet. Somit wird in jedem Krieg das Töten etwas Alltägliches. Die Soldaten können damals wie heute keinen Gedanken daran verschwenden, wer das Opfer ist und ob es eine Familie hat. Der Feind wird dadurch zu einem gesichtslosen und namenlosen Objekt, er verliert seine Menschlichkeit.

Diese Entmenschlichung beginnt nicht an der Front, sondern meistens schon deutlich früher. Da wo Menschen ihr Menschsein abgesprochen wird, wo bestimmte Menschengruppen als „schädlich“ oder „unerwünscht“ bezeichnet werden, ist es oft nicht mehr weit bis zur Gewalt. Es ist daher auch heute noch wichtig, dass wir auf unsere Wortwahl achten, dass wir hellhörig sind, wenn Menschen abgewertet oder ausgegrenzt werden. Krieg beginnt nun mal nicht mit dem ersten Schuss und endet nicht mit dem letzten. Wenn wir dafür sensibel sind, leisten wir einen großen Beitrag, dass unsere Gesellschaft auch weiterhin eine weitgehend friedliche bleiben wird.

 

Auch wenn die drei von uns vorgetragenen Zitate aus „Im Westen nichts Neues“ den Ersten Weltkrieg beschreiben, sind sie doch erschreckend aktuell. Sie zeigen uns, dass sich zwar die politischen Verhältnisse und die Technologie verändern kann, aber dass Kriege in ihrem Wesen immer gleichbleiben werden: Sie verschlingen Menschen. Auch wenn wir in Deutschland seit fast 80 Jahren keinen Krieg mehr erlebt haben, sollte uns dies auch heute noch eine Warnung sein.

Magdalena Demmel, Kerstin Eble und Christoph Sigg