„Es gibt Dinge, von denen man sich nie ganz erholt“
Literaturpreisträger Arno Geiger liest am Salvatorkolleg
Einen ungewöhnlichen Besuch erhielt das Gymnasium Salvatorkolleg am vergangenen Montag, den 11.10.21. Der österreichische Schriftsteller und diesjährige Literaturpreisträger der Stadt Bad Wurzach, Arno Geiger, las in der Mensa der Schule aus seinem preisgekrönten Roman „Unter der Drachenwand“.
„Mein Name: Arno Geiger“, so begrüßte der frischgebackene Träger des Friedrich-Schiedel-Literaturpreises – und zudem einer der namhaftesten deutschsprachigen Schriftsteller unserer Zeit – das Publikum, bestehend aus den beiden Geschichts-Leistungskursen der Jahrgangsstufen 11 und 12. Und dieser Hörerkreis war nicht zufällig ausgewählt, geht es doch beim Literaturpreis der Stadt Bad Wurzach darum, Werke auszuzeichnen, denen es gelingt, „Geschichte und Sprache meisterhaft miteinander zu verknüpfen“.
Genau dies ist auch ein hervorstechendes Merkmal des Romans „Unter der Drachenwand“. Im ersten Teil der Matinée (so darf man eine Lesung um halb neun in der Früh wohl nennen) las Arno Geiger eine Passage aus seinem Werk vor. Es handelt zur Zeit des Zweiten Weltkrieges, der bereits mehr als fünf Jahre andauert. Am Mondsee im Salzkammergut, nahe der steil aufragenden Drachenwand, treffen an einem Ort mit dem kuriosen Namen „Schwarzindien“ junge Menschen aufeinander, die vor dem Krieg ins Hinterland geflohen sind, diesem aber auch dort letztlich nicht entkommen. Dem Soldaten Veit lassen seine traumatischen Kriegerlebnisse keine Ruhe, wie in der von Arno Geiger vorgelesenen Textstelle deutlich wird. Sein Befinden lässt sich in dem Satz zusammenfassen: „Und doch, es war […] als gebe es Dinge, von denen man sich nie ganz erholt.“
Nach dieser Autorenlesung im klassischen Sinne, ermutigte Arno Geiger die Schülerinnen und Schüler, Fragen zu stellen, die er „als auskunftsfreudiger Mensch“ gerne zu beantworten bereit sei. Bereits die erste Frage von Schülerseite – wie ein solcher Roman zustande komme, von der ersten Idee bis zum fertigen Manuskript – sorgte dafür, dass der Schriftsteller ausführlich über die Entstehung des Romans „Unter der Drachenwand“ berichtete. Ein Flohmarktfund in Wien, bestehend aus einem Packen Briefe, stand am Anfang. Diese teils behördlichen, teils privaten Briefe stammten aus dem Gasthaus Schwarzindien am Mondsee, wo sich eine Unterkunft der so genannten Kinderlandverschickung befand. Die ungefilterten Informationen von Kinder-, Eltern- und Behördenseite faszinierten Geiger so sehr, dass er beschloss, daraus einen Roman zu machen. Die Vorbereitungen zu diesem dauerten indes viele Jahre, während die eigentliche Niederschrift dann im Akkordverfahren in wenigen Tagen fertig war – ohne nachträgliche Änderungen und Korrekturen!
Die weiteren Fragen von Schülerseite drehten sich zum einen um den Inhalt des Romans, so etwa, ob es nicht schwierig oder problematisch sei, Protagonisten des Dritten Reiches mit Empathie zu behandeln. Wo sei dann die Grenze zu ziehen, um nicht zu verharmlosen oder gar zu glorifizieren? Diese Frage beschäftigte auch Geiger selbst nach eigenen Angaben sehr. Er denke aber, den richtigen Weg gefunden zu haben, da sein Roman gerade in Ländern, die im Zweiten Weltkrieg unter der deutschen Präsenz zu leiden hatten, ein Erfolg geworden sei. Es gibt neben einer englischen auch eine französische sowie eine niederländische Übersetzung des Romans.
Zum anderen waren die Kursstufler interessiert am persönlichen Werdegang Geigers, dessen literarischer Erfolg spät, dann aber mit Wucht kam: Mit 37 Jahren wurde Arno Geiger, wie er betont: gewissermaßen aus dem Nichts, für seinen Roman „Es geht uns gut“ mit dem sehr renommierten Preis des Börsenvereins des deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Diese und weitere Fragen beantwortete der Schriftsteller ausführlich und humorvoll, mit Freude und Esprit. An dieser Stelle sei ihm nochmals sehr für die überaus interessante und gelungene Autorenlesung gedankt – alle Anwesenden werden gerne an diesen Montagmorgen zurückdenken.
Markus Benzinger
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