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Blinde führen, Bedürftige unterstützen: mein Sozialpraktikum bei der Bahnhofsmission

Warum ich mein Sozialpraktikum bei der Bahnhofsmission machen wollte? Weil ich als kleiner Junge  selbst schon einmal deren freundliche Hilfe beim Umsteigen erhalten habe und ein Eisenbahn-Fan bin. Eine Reportage im NDR über die Arbeit der Bahnhofsmissionare in Hamburg festigte dann meinen Entschluss: Mein Sozialpraktikum mache ich bei deren Zweigstelle in Ulm auf dem Hauptbahnhof.

Der Tagesablauf in der Bahnhofsmission ist generell von Tag zu Tag ähnlich, trotzdem war für mich jeder Tag einzigartig und voll neuer Erfahrungen und Eindrücke. Direkt nach meiner Ankunft am ersten Tag wurde ich von Gabi, einer der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen, herzlich begrüßt. Sie wies mich in die Abläufe und Regeln ein, was aber recht flott ging, weil ich die Räumlichkeiten bereits von meinem Vorstellungsgespräch im Oktober kannte. So konnte ich gleich mit der Arbeit beginnen: Kaffee kochen und Käsebrote schmieren. Damit Hilfsbedürftige die Mitarbeiter der Bahnhofsmission sofort erkennen können, tragen alle – auch ich als Praktikant – die blaue Weste mit dem roten Malteserkreuz. Einige der Besucher kennen die Ehrenamtlichen namentlich und statten der Mission fast jeden Tag einen Besuch ab. Wohl auch, weil sie sonst niemanden zum Reden haben. Einige warfen sogar etwas Geld in die Spendenbox, und das trotz finanzieller Probleme. Davon könnte sich so manch Gutverdiener eine Scheibe abschneiden!

Eine weitere Aufgabe der Bahnhofsmission ist natürlich auch der Ein-, Aus- und Umsteigeservice. Die erste hilfsbedürftige Person, die ich begleitete, kam fast selbstständig zurecht. Ihr durfte ich lediglich den Rollator beim Treppensteigen tragen. Die nächste tat sich dagegen beim Gehen sehr schwer und ich musste die Dame kräftig stützen und motivieren, überhaupt weiterzulaufen. Durch die Umbauarbeiten in der Umgebung des Ulmer Bahnhofes und die dadurch wechselnde Verkehrsführung war es vor allem für mich als nicht-Ortskundigen schwierig, immer den kürzesten Weg zu finden. Vor allem bei Personen, die Schwierigkeiten beim Gehen haben, zählt jeder eingesparte Meter. Sei es wegen der Anstrengung, der Schmerzen oder auch der benötigten Dauer. Doch mit der Zeit kannte ich die Abkürzungen und lernte, wie ich Gehbehinderte führen musste.

Wenn etwas weniger los ist, können wir die Bahnhofsmission verlassen, um auf „Gleisdienst“ zu gehen. Das heißt, man geht – meist zu zweit – von Bahnsteig zu Bahnsteig und spricht hilfsbedürftige und orientierungslose Menschen aktiv an, ob sie Hilfe benötigen. Im Falle einer Blinden hatte ich dann den Auftrag, sie zur Bushaltestelle zu begleiten. Dabei lernte ich, worauf es bei der Betreuung eines Sehbeeinträchtigten ankommt: Dass man fragt, ob und wie sie Hilfe erhalten wollen. Da spielt etwa die Seite zum Unterhaken eine große Rolle. Sich bei einem Rechtshänder auf der rechten Seite einzuhaken ist zum Beispiel schlecht, da man dem Blinden dann die Hand, die den Stock führt, blockiert. Für mich als Sehenden war es auch sehr ungewohnt, beim Laufen ständig die Umgebung zu beschreiben. Das gelang mir anfangs auch nur teilweise, aber die Frau fragte einfach bei mir nach, wenn etwas unklar war und so konnte ich sie sicher ans Ziel bringen.

Freitags und sonntags bieten die Bahnhofsmissionen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn einen besonderen Dienst an: „Kids on Tour“. Hier können z.B. getrennt lebende Eltern ihre kleinen Kinder in den Ort ihres Ex-Partners reisen lassen, ohne selbst mitzufahren, zum Beispiel von Köln nach Ulm. Die Kinder begleitet dann ein Mitarbeiter der Bahnhofsmission. Er sorgt auch dafür, dass sie an der richtigen Haltestelle aussteigen. Dort holt sie dann ein anderer Mitarbeiter ab und bringt sie ins Spielzimmer der Bahnhofsmission, wo sie bis zur Abholung durch die Eltern bei Laune gehalten werden.

Am Nachmittag hat die Bahnhofsmission in Ulm unter der Woche nach 13 Uhr geschlossen. Für längere Öffnungszeiten fehlt in Ulm das Personal. Ca. 20 ehrenamtliche Frauen und Männer teilen sich in Ulm die Schichten.

Entgegen meiner ersten Erwartungen ist die Bahnhofsmission viel mehr als nur eine Anlaufstelle für Reisende: Ein Großteil der Besucher findet in der Bahnhofsmission einen Platz zum Aufwärmen und eine Tasse warmen Kaffee, besonders in den kalten Wintermonaten. Die ehrenamtliche Arbeit vor Ort ist sehr vielfältig. Bis auf einen ruhigen Tag war mir eigentlich nie langweilig und ich habe immer etwas Neues und Interessantes erlebt. Das Gefühl am Ende des Tages, vielen Leuten auf ihrem Weg geholfen zu haben, ist für mich so positiv, dass ich mich auch über das Praktikum hinaus entschlossen habe, mich auch zukünftig bei der Bahnhofsmission zu engagieren.

Leon Schnieber